👦Der kleine Finn hat so viel Potential
„Er hat doch so viel Potential!“ Diesen Satz sprechen Lehrer meist genau dann aus, wenn jemand sein Potential nicht ausschöpft. „Der kleine Finn hat so viel Potential… aber er ist so schrecklich faul. Oder so schüchtern. Oder er ist ständig abgelenkt. Er macht so wenig aus sich. Er spielt nur Fortnite. Er hat die falschen Freunde.“ Warum wird dennoch Potential bei Finn vermutet? Vielleicht sind es gelegentliche Geistesblitze im Unterricht, eine schnelle Auffassungsgabe, wache Augen. Was es auch ist, es ist für Lehrer trauriges Alltagserleben, dass jemand weit unter dem bleibt, was er oder sie eigentlich könnte.
🎓Berufliche Potentialanalysen
Aber auch abseits der Schule finde ich den Umgang mit Potentialen herausfordernd – seien es die eigenen oder die der Anderen. Zum Einen waren da die beruflichen Potentiale: Mir wurde schon früh gesagt, ich hätte allerlei Potential, ich könnte so viel machen. Mein Deutschlehrer schrieb einmal unter eine Klausur, ich sollte unbedingt Germanistik studieren. Als ich in einem Auslandseinsatz gefragt oder ungefragt biblische Weisheiten und sonstige Aphorismen austeilte, wurde ich gefragt, ob ich nicht Pastor werden wolle. Mein Vater wiederum hätte mich früher gerne als Journalist gesehen, ich schreibe doch so gerne. Entsprechend war die Berufswahl ein enorm schwieriges Kapitel in meinem Leben. Ich wollte irgendwie sicherstellen, dass ich meine Potentiale zukünftig optimal nutzen kann – aber wie kann man das vorher wissen? Ich habe großes Mitgefühl mit jedem jungen Menschen, der sich mit dieser Frage schwer tut.
🎨Talente & Potentiale
Aber auch abseits der großen Lebensfragen ergeben sich immer wieder Fragen, wie ich Potentiale nutzen kann. Immer dann, wenn mir Freunde davon erzählen, was sie tolles gemacht oder erlebt haben, frage ich mich: Sollte ich das auch tun? Sollte ich nicht auch diesen Auslandseinsatz machen? Mehr auf die Straße gehen? Neue Dienste übernehmen? Mehr Abenteuer planen? Auch mal einen poetry slam machen? Überhaupt mehr schreiben? Ich habe in meiner Notizapp eine lange Liste mit Themen, über die ich mal einen Blogeintrag schreiben wollte. Aber irgendwie komme ich nicht dazu, ich nehme mir nicht die Zeit oder ich denke, ich weiß noch nicht genug über das Thema.
📖Biblische Potentialnutzung
„Wer viel hat, von dem wird viel verlangt werden“. (Lk 12,48) Solche Bibelstellen oder das Gleichnis von den Talenten fordern mich immer wieder heraus, über die Ausschöpfung meiner Potentiale nachzudenken. Ich hab so viel geschenkt bekommen, als gesunder Mensch, in Deutschland aufgewachsen, in einer lieben Familie, mit ein paar Gaben – mach ich da was draus? Vielleicht denkst du dir jetzt, ich mache mir zu viel Druck und sollte das alles gechillter angehen. Da ist was dran. Aber wenn man wie ich auf die 30 zugeht, fragt man sich, wie ich auch in der kommenden Lebensphase das, was Gott mir an Zeit, Geld, Talenten, Persönlichkeit, Kontakten und Energie geschenkt hat, gut einsetzen kann.
👣Kleine Schritte für große Potentiale
Sicherlich kann diese Frage nicht pauschal und einmalig beantwortet werden, aber folgende kleine Schritte möchte ich zukünftig mehr beachten, um mein Talent nicht zu sehr zu verbuddeln.
1.) Öfters Ja sagen. Immer wieder höre ich, wir müssen lernen, Nein zu sagen. Für beschäftigte Manager oder Mütter ist das sicher wichtig, um Kraftreserven und Prioritäten richtig einzuteilen. Aber ich glaube Gott schenkt vielen von uns einige Gelegenheiten, unsere Potentiale einzusetzen, zu denen wir auch einfach mal „Ja“ sagen können. Wenn ich zu einem Dienst angefragt werde, sage ich fast immer ja, wenn es sich irgendwie zeitlich einrichten lässt. Dadurch habe ich schon vieles ausprobieren und vielleicht auch hier und da ein Segen sein können. Wenn offensichtlich bei einer Gemeinde, einem Event oder einer Person ein Bedürfnis steht, warum sollte ich nicht einspringen, wenn ich gefragt werde? Ich verstehe jeden, der mal kürzer treten muss oder sich gerade nicht im Stande fühlt, zu irgendeiner Aufgabe ja zu sagen. Wenn wir aber zu knauserig mit unserer Zeit und oberskeptisch oder kompliziert mit Anfragen umgehen, vergeuden wir es, unsere Potentiale, die offensichtlich gebraucht werden, einzusetzen.
Das gilt übrigens auch für informelle Bitten eines Freundes, Zeit miteinander zu verbringen. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, fast immer ja zu sagen, wenn jemand mir die Ehre erweist, mit mir Zeit verbringen zu wollen. So oft kommt das nämlich gar nicht vor und wer weiß, was sich alles Gutes aus einem einfachen Treffen ergeben kann.
2.) Seine Stärken kennen und einsetzen: Wir reden in christlichen Liedern und Predigten viel über unsere Schwächen, aber wir müssen auch lernen, unsere Stärken zu benennen und sie bewusst einzusetzen. Wenn ich vor lauter Bescheidenheit oder Selbstzweifel glaube, ich hätte keine besonderen Stärken, dann werde ich meine Umgebung kaum mit dem bereichern, was in mir und meinem Leben angelegt ist.
Oft erkennt man seine Stärken und Neigungen daran, was einen selbst stört. Die Predigt ist dir zu diffus und unstrukturiert? Vielleicht hast du einen analytischen Kopf, der Gedanken präzise und pointiert kommunizieren kann. Warum also nicht selber mal eine halten? Dir sind die Deutschen zu unterkühlt? Vielleicht hast du selber die Anlage, anderen Menschen mit Wärme und Herzlichkeit zu begegnen. Nutze das! Beschwerden in Betätigung umzuwandeln ist eines der konstruktivsten Mittel, um zu einem positiven Gruppenleben beizutragen.
3.) Keine Zeit vertrödeln: Eines der sichersten Methoden, um seine Potentiale garantiert nicht zu nutzen, ist es, eine neue Serie bei Netflix anzufangen. Der stetige Konsum von Medien führt in die Passivität, das kann ich aus eigener schmerzvoller Erfahrung sagen. Sich immer wieder aufzuraffen und nicht der Versuchung nachzugeben, sich bequem berieseln zu lassen, sondern stattdessen irgendwie was Schönes, Hilfreiches, Durchdachtes, Kreatives, Belebendes oder Sinnvolles zu produzieren, ist überhaupt nicht einfach und naheliegend, aber ein guter und mehr denn je wichtiger Schritt, seine Zeit und somit auch seine Potentiale nicht zu vertrödeln.
Kurz vor den Osterferien habe ich mit meinen Q2-Schülern und Fast-Abiturienten gefrühstückt und währenddessen in die Runde gefragt, was sie nach dem Abi machen wollen. Es war ein bunter Mix aus Studien- und Ausbildungsgängen, Praktika, Bibelschulprogrammen und Planungs- und Ahnungslosigkeit. Ihnen steht die Welt offen und doch müssen sie sich entscheiden, was sie in den nächsten Jahren und letztlich jeden Tag machen wollen. Ich wollte nicht mehr mit ihnen tauschen, aber ich wünsche ihnen, dass sie den Mut haben, etwas Gutes aus all ihren großen und kleinen Möglichkeiten, die sich ergeben werden, zu machen.
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