Eine der schwierigsten Fragen, die mir im Dezember gestellt werden, lautet: „Was wünscht du dir denn?“
Wichteln unter Erwachsenen, dazu in meiner Familie, ist ohnehin keine leichte Angelegenheit. Meine überaus kreativen und liebevollen Schwestern nebst meiner allseits fürsorglichen Mutter (mein Vater ist meist recht schmerzbefreit und stellt spröde Amazon-Links in den Wichtel-O-Maten) machen sich viele Gedanken, wollen Freude verschenken und vielleicht auch selber in der Geschenkebilanz gut abschneiden. Zum Funktionieren dieses Freudensystems sollte man natürlich einerseits selbst schöne und ein wenig überraschende Geschenke finden, aber auch selbst vorher Wunschgeschenke angeben, die man wirklich gebrauchen könnte oder die das Leben in irgendeiner Form verschönern oder vereinfachen.
Aber was brauche ich denn? Viele reife Menschen und auch ich pflegen dann zu sagen: „Ach, ich bin wunschlos glücklich. Ich brauche nichts! Ich freue mich auf die Gemeinschaft!“ Abgesehen davon, dass man seinem Geschenkewichtel das Leben so nicht unbedingt einfacher macht, frage ich mich, ob das wirklich immer so ist mit der wunschlosen Zufriedenheit. Habe ich tatsächlich keine Wünsche?
Was im Kontext von Weihnachten zumeist mit dem Satz gemeint ist, ist vermutlich eher die Feststellung, dass man keine materiellen Kleinigkeiten braucht, die einem ein Wichtel im Einzelhandel kaufen könnte. Ist der Haushalt eingerichtet, der Kleiderschrank voll und die Technik tut es noch, dann muss man eher krampfhaft nach materiellen Dingen suchen, die mal Verwendung finden könnten.
Als Kind und Teenager war das noch anders: Jedes Jahr zu Weihnachten und Geburtstag gab es ein neues Lego-Set für die eigene Stadt, später Hardwarezubehör für den Computer oder Bücher und Filme für die gute Unterhaltung. Es entstand das Gefühl der Progression: Jedes Jahr wuchs mein Bestand, mein kleines Lebenshaus wurde quasi mit jedem Legobauteil, das ich Weihnachten bekam, größer.
Jetzt aber bin ich an einem Punkt angekommen, in dem die Lebensprogression nicht mehr allzu linear verläuft. Die Magie des Geschenkeauspackens ist nicht mehr so groß wie damals, weil ich hinter dem Papier keinen großen Zauber mehr erwarten kann. Das liegt auch daran, dass ich mir theoretisch alle Weihnachtsgeschenke selber kaufen könnte, während ich früher noch in gespannter Abhängigkeit von meinen Eltern den beiden großen Geschenkeanlässen im Jahr entgegenblickte.
Aber natürlich bin ich deswegen nicht wunschlos glücklich. Ich habe immer noch Wünsche, nur kann man die nicht mit einem Weihnachtsgeschenk erfüllen. Einen Job näher an meinem Zuhause, ein Ende der Pandemie, weniger Korrekturen, eine Gesundheitsgarantie für alle meine Lieben. Seit kurzem fangen einige meiner befreundeten Altersgenossen an, Häuser zu bauen. Das ist auch ein diffuser Wunsch für die Zukunft, gefühlt kaum erreichbar.
Eine populäre „Erwachsenenlösung“ für all diese First-World-Problems im Umgang mit Wünschen ist es, sich statt auf schnöden Materialismus auf die Beziehungen im Leben zu konzentrieren. Nicht umsonst trällert Maria Carey (im ironischerweise kommerziell erfolgreichsten Weihnachtshit aller Zeiten) „All I want for Christmas“, dass sie ja keine Geschenke unterm Weihnachtsbaum wolle, sondern nur von ihrem Liebsten im Arm gehalten werden möchte.
Als glücklich verheirateter Mensch kann ich diesem Ansatz viel abgewinnen. Aber so lieb Luise zu mir ist und so fest sie mich auch umarmt (und das tut sie wirklich!), kann sie meine oben genannten und viele weitere Wünsche und Vorstellungen, die sich im Kopf einnisten können, nicht erfüllen. Ein enger Lebenspartner kann, selbst wenn er im Lockdown noch enger an einen gebunden ist, nicht dafür sorgen, wunschloses dauerhaftes Glück herzustellen. Kopf und Herz scheinen mir manchmal Wunschfabriken zu sein, die selbst Lebensgefährten nicht stilllegen können.
Als Christen sind wir angehalten, zufrieden unabhängig von Umständen zu sein, keine Sorgen und Wünsche für den morgigen Tag zu hegen und stattdessen im Hier und Jetzt, in das Gott uns gestellt hat, dankbar und aktiv zu sein. Auch wenn 2020 in dieser Hinsicht kein einfaches Jahr war, will ich doch an der Verheißung und Herausforderung von christuszentrierter Zufriedenheit festhalten. Ich möchte 2021 in allen Ungewissheiten, in allen unerfüllten Träumen und in allen schwierigen Lebensumständen, die auf mich warten, ruhig bleiben und mir von Gott zusprechen lassen, dass mein Glück nicht im nächsten Geschenk, dem nächsten Lebensmeilenstein und noch nichtmal zwangsläufig in meinen Beziehungen liegt, sondern im guten Hirten, der mit dir und mir durch 2021 und darüber hinaus geht.
Auf dieser Basis kann ich auch die kleinen Geschenke, die das Leben gelegentlich bereithält, mehr genießen. Als ich letztens auf ein wunderschönes ruhiges Weihnachtslied von Phil Wickham stieß, wurde mir das neu bewusst. In „This Year For Christmas“ singt er im Refrain gefühlvoll:
I’ve got all I want this year for Christmas
Don’t need no presents underneath the tree
Cause all I want this year for Christmas
Is waking up with you
Right here next to me
Zwar ist die Botschaft ähnlich wie bei Mariah Carey, aber die Art, wie sie vorgetragen wurde, hat mich tief berührt. Ich kann berufsbedingt nicht jeden Tag neben Luise aufwachen, aber die Male, die mir geschenkt werden, will ich dankbar annehmen. Denn auch wenn ein Partner nicht alle Wünsche erfüllen kann, ist es so wohltuend, nach den vielen seltsamen Träumen der letzten Nacht und vor der Ungewissheit der Zukunft und der Arbeit des Tages gesund aufzuwachen, zu leben, den Atem eines anderen Menschen zu hören und zu wissen, dass man durch dieses Leben und die Spannung zwischen Wunsch und Zufriedenheit nicht alleine geht.
Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. – Psalm 23,1-4