Die letzten Wochen zwischen Umzug, Einrichten, Ankommen, Besuchen, Erzählen, Unterrichten und Weihnachtsorga waren voll, erlebnisreich und spannend, aber auch ermüdend. Meine Augen gaben oftmals schnell nach, wenn ich nachmittags zu Hause auf dem Sessel einsank. Ich weiß nicht, ob ich einfach nur älter werde, ob meine Ernährung nicht optimiert oder mein Rhythmus ungesund ist oder ob die aktuelle Umbruchsphase besonders an mir zehrt, aber ich empfinde das Leben gerade als relativ kräftezehrend.

Müdigkeit ist nicht unbedingt mein Markenzeichen. Insgeheim war ich oft ein bisschen stolz, dass mein Körper so wenig Schlaf braucht. Dass ich relativ mühe- und müdelos lange auf Feiern bleiben konnte und energisch und lebensfroh vor meine Klassen treten konnte. Doch ich merke, dass auch mir Grenzen gesetzt sind und ich mich nachts und manchmal auch tagsüber dem Schlaf hingeben muss.

Gleichzeitig habe ich den letzten Jahren gelernt, Schlaf nicht nur als körperliche Notwendigkeit zu betrachten, sondern eine geheimnisvolle Schönheit und theologische Tiefe in ihm zu sehen.

Das Zusammenspiel von wacher Aktivität und geruhsamer Verschlafenheit birgt ein gewisses Mysterium, was über bloße biologische Bedürfnisse hinausgeht. Dies erlebe ich nicht nur bei mir selbst, sondern auch beim Beobachten anderer. Da die meisten meiner Freunde mittlerweile Familien gegründet haben, komme ich immer wieder in Kontakt und ins Staunen beim Erleben von Babies, diese kleinen und vulnerablen Wesen. Erst letzte Woche konnten wir bei einem Besuch beobachten, wie ein kleiner 9-monatiger Junge erst hochaktiv und munter die Frühstücksgesellschaft belustigte und dann bei einem Seespaziergang mit seiner Müdigkeit kämpfte und schließlich im Kinderwagen dem Schlaf nachgab. Kinder, die ihre Umwelt so intensiv erleben und so laut und ungefiltert Ängste und Freuden zum Ausdruck bringen, beim Schlafen zuzuschauen ist auf eine besondere Weise schön und lehrreich. Wenn sie vollkommen in sich ruhend dick eingepackt im Kinderwagen liegend ihr Erlebtes verarbeiten und träumend von großen Menschen herumgeschoben werden, vermitteln sie unsere menschliche Beschaffenheit, Begrenztheit und Fragilität.

Umso wundersamer erscheint mir da die weihnachtliche Vorstellung, dass der Sohn Gottes und zukünftige Retter der Welt Babygestalt annahm und Schlaf brauchte. Hat der kleine Jesus Maria und Joseph schlafen lassen oder war er ein Schreikind? Musste er viel bewegt und getragen werden, bis er einschlief? Was hat er wohl geträumt? Wie neugierig hat er seine Umwelt erkundet? Konnte er schon früh krabbeln? Haben seine Eltern ihm einen festen Schlafrhythmus antrainiert?
All das wissen wir nicht, aber was wir wissen, ist, dass er wie alle anderen Menschen seinen Schlaf brauchte. Einmal schlief er sogar auf einem Boot ein, während um ihn herum Wellen tobten und seine Jünger vor lauter Angst und Zweifel schrien. Ich frage mich, ob der Grund für seinen seelenruhigen Schlaf in einer geheimen himmlischen SuperPower oder einfach nur in seiner Seelenruhe lag.

Dessen ungeachtet vermittelt dieses „Sturm-Schlafen“ ein eindrucksvolles Bild von Vertrauen. Wer sich dem Schlaf hingibt, akzeptiert die Grenzen seines menschliches Körpers und drückt aus, dass schon jemand über ihn wacht. Wer schläft, kontrolliert nicht mehr. Der Schlafende schaut nicht auf Wind, Wellen noch auf andere Umstände.

Oder auf Ampeln. Einige wenige Male fuhr ich in meinem Leben Auto und hatte auch Mitfahrer dabei. Manche davon waren dabei recht angespannt und wiesen mich latent gestresst auf nahende rote Ampeln und geringe Abstände hin. Sie hatten wohl ihre Gründe dafür 😉 Andere wiederum neigten nach einiger Zeit ihren Kopf und schliefen während der Fahrt ein. Letzteres habe ich immer als einen kleinen Vertrauensbeweis eingestuft. Ihre geschlossenen Augen signalisierten mir: „Du machst das schon. Weck mich auf, wenn wir da sind.“ Ein Auto mit schlafenden Mitfahrern zu fahren ist eine große Verantwortung, aber auch ein behaglicher und wohliger Zustand.

Behaglichkeit und Geborgenheit ist auch der Gefühlszustand, der an den Weihnachtstagen herum angestrebt wird. Ich bin dankbar, dass die Geborgenheit von Glaube und Familie besonders an diesen Festtagen zelebriert und gelebt wird, aber ich bin mir auch bewusst, dass viele Menschen diese Form von Vertrautheit nicht kennen und es ihnen schwer fällt, auf die Krippe und nicht auf die Krisen zu schauen.

Einen solchen Menschen traf ich heute in Gestalt einer Rentnerin in einer Bäckerei, in der ich mein „Neubürgerheft“-Frühstücksgutschein einlöste und diesen Text begann zu schreiben. Wir kamen über das Mindener Tageblatt ins Gespräch. Die lokale Politikerin auf der Titelseite finde sie toll – aber so genau kenne sie sich selbst nicht mit Politik aus, sie fühle sich auch nicht so schlau. Ich fragte sie, ob sie sich auf Weihnachten freue. Tat sie nicht. Sie ist allein und das Leben ist schwer. Die Mutter dement im Altenheim, die Schwestern suchen kaum Kontakt, ihre Wohnung schimmelig, die Nachbarn eigenbrötlerisch, das Auto kaputt und das Geld bei den hohen Preisen knapp.

Es fiel mir schwer, ihr weihnachtlichen Trost zuzusprechen. Ich versuchte es dennoch ein wenig, aber merkte beim Reden, dass die Weihnachtsbotschaft für sie schwer zu greifen ist, wenn sie am 24.12. alleine in ihrer Wohnung ihr Dasein fristet. Doch immerhin erzählte sie recht offen und blieb im Gespräch. Als sie schließlich gehen wollte, stockte sie kurz und fragte mich, ob ich als Neubürger Mindens nicht manchmal Tipps und Rat für die Stadt bräuchte, sie kenne sich gut aus. Doch direkt daraufhin korrigierte sie sich selbst und meinte: „Ach, aber ihre Kollegen werden ihnen sicherlich helfen, sie brauchen mich nicht.“ Als sie sich schon wieder so klein machte, unterbrach ich sie und sagte, sie könne mir gerne ihre Nummer geben. Sie schrieb ihre Festnetznummer, ihr Handy funktioniere nicht, auf eine abgerissene Ecke der Zeitung. Ich wollte Sabine umarmen, aber reichte ihr nur die Hand.

Ich weiß nicht, ob Sabine gut schläft und wie sehr du und ich im kommenden Jahr Schlaf brauchen, ob uns das Leben in den Schlaf zwingt oder um uns ihn bringt. Aber ich wünsche allen, egal, ob sie am Anfang oder am Ende ihres Lebens stehen, das, was in dem altvertrauten Weihnachtslied so schlicht und doch so magisch über das Jesuskind ausgesagt wird:

„Schlaf in himmlischer Ruh‘,
schlaf in himmlischer Ruh‘!“


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