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Warum jeder Link einen Begleittext haben sollte
Glaube, Bildung und vieles mehr braucht Kontext. Die digitale Sphäre unterminiert diesen oft.

Heute bei einem Schülerreferat habe ich mich als Lehrer wieder mal von meiner etwas nervigen Seite gezeigt. Bei der Feedbackrunde im Anschluss mäkelte ich bei einer Gruppe, die last- minute- Notenverbesserungsmaßnahmen ergreifen wollte und wohl nur froh war, ihre Präsentation hinter sich gebracht zu haben, etwas herum. Mein Hauptkritikpunkt – das eingebettete Video wurde nicht kontextualisiert. Ungefähr lief es so ab:

Diese Art der Darbietung ohne Erklärung und sinnvolle Einbettung stößt mir besonders sauer auf, weil ich in den letzten Jahren zunehmend eine Wertschätzung für Dinge entwickelt habe, die man mit luftigen Worten wie „Ganzheitlichkeit“ beschreiben könnte. Ganzheitlich ist im Schulkontext der Gegensatz zu etwas, was mein Fachleiter in Geschichte mal als „additiv“ beschrieb. Additiver Unterricht besteht nur aus verschiedenen Elementen, die einfach addiert werden und zusammenhangslos nebeneinander stehen. Besser sind Verknüpfungen, Rückverweise und organisch entwickelte Gespräche, die sich trotz Schulsettings halbwegs „natürlich“ anfühlen.

So etwas leisten, ist gar nicht so einfach, vor allen Dingen nicht für junge Schüler, die nicht tagtäglich vorne stehen. Ganzheitlichkeit setzt nicht nur ein tiefes Verständnis und Durchdringen des Themas voraus, sondern bedarf auch der Routine und eines pädagogischen und ästhetischen Gespürs, verschiedene thematische Komponenten möglichst elegant miteinander zu verbinden und einen „Flow“ herzustellen. Schließlich ist auch ein sozialer Blick dafür notwendig, wie die Zuhörenden möglichst gut gepackt und mitgenommen werden können.

Ich behaupte nicht, dass ich diese Ganzheitlichkeit in meinem Unterricht beständig lebe, dafür bin ich oftmals nicht zackig, erfahren und ausgeschlafen genug. Aber ich merke gelegentlich die positiven Effekte nicht nur für die Lerngruppe, sondern auch für mich selbst, wenn sich etwas rund anfühlt.

Doch ein Faktor, der nicht nur mir, sondern auch meinen Schülerinnen und Schülern das Herstellen von Ganzheitlichkeit erschwert, hat gar nicht viel mit der Schule, sondern viel mehr mit gesellschaftlichen Entwicklungen insbesondere im digitalen Bereich zu tun. Denn hier wirken viel mehr additive Mechanismen. Instagram-Posts, Tweets und Stories werden meist ohne jeden Kontext verfasst und konsumiert. Der Nutzer nimmt einen Haufen disparater Elemente in seinem Feed wahr, die meistens völlig entkontextualisiert nebeneinander stehen: Hier ein Urlaubsfoto, da ein Impfaufruf und dort noch ein witziges Meme. Ich glaube nicht, dass es gut für unser Hirn ist, wenn wir es tagtäglich mit dutzenden Info-Bits füllen und uns nicht die Mühe machen, Zusammenhänge wahrzunehmen und verstehen. Natürlich gibt es Versuche in diese Richtung. Es gibt lange Hintergrundartikel bei den großen Nachrichtenmagazinen wie der „Zeit“. “Long form podcasts“, in denen sich Leute 2-3h unterhalten, sind seit ein paar Jahren ein besonders beliebtes Phänomen. Aber wirkmächtig gerade für junge und teils wenig disziplinierte und leicht reizbare Menschen sind eher die Häppchen als der Aufsatz.

Ein Phänomen, wo sich mangelnde Ganzheitlichkeit für mich besonders offenbart, ist die „Internetmission“ via Link. Allzu oft posten Menschen in ihren Status oder in eine Gruppe Links zu Videos oder Artikel mit der Absicht, dass Menschen diese anklicken und ihr ihren Glauben, ihr Konsumverhalten oder ihre Einstellung zur politischen Großwetterlage verändern sollen. In aller Regel werden diese Links nackt ohne jeden Begleittext gepostet. Nun verstehe ich die guten Absichten hinter diesen Linktipps durchaus und ich weiß auch, dass man manchmal keine Lust dazu hat, irgendetwas zu tippen und einfach nur was „raushauen“ möchte.

Dessen ungeachtet würde ich es viel schöner und hilfreicher finden, wenn wir zu jedem Link schreiben, warum wir diesen Artikel teilen, was uns besonders angesprochen oder gerührt hat oder wie das Video andere erhellen oder erfreuen kann. Denn indem wir dies tun, machen wir uns den Inhalt mehr zu eigen und setzen ihn in einen Bezug zu uns selbst und zu den Adressaten. Wenn einem das schwer fällt zu artikulieren, kann das dann auch daran liegen, dass man das Thema selbst noch nicht wirklich durchdrungen hat oder es einen gar nicht so berührt hat, sondern nur Argumentations- oder Reizfutter verbreiten möchte. Vielleicht wird auf diese Weise der eine oder andere Link weniger geteilt. Wäre das so schlimm, wenn im Gegenzug Menschen mehr über sich und das, was sie herausgeben, nachdenken und diese beiden Dinge möglicherweise mehr in einen Einklang miteinander zu bringen?

Ich weiß noch selbst, wie mich vor vielen Jahren ein Bekannter fragte, ob die so genanten „Traktate“, die ich verteilte, denn auch selbst gelesen hätte. Peinlicherweise musste ich mir eingestehen, dass ich sie teils nur überflogen hatte. Mir ging es nur darum, die Wahrheit an den Mann zu bringen, ohne Wahrheit und Mann tiefer kennengelernt zu haben. Ich habe Empathie für mein früheres Ich und will auch das Feuer, was vor allem in Jugendjahren manchmal ohne begleitenden Verstand brennt, nicht schmälern. Aber ich glaube ich wäre so manches Mal glaubhafter gewesen, wenn ich mich auch gedanklich und gefühlstechnisch mehr hinter das hätte stellen können, was ich zu verbreiten versuchte. Aber wer ist schon mit einem Flaum ganzheitlich?

Die vielfach kritisierte düstere Internetkultur kann womöglich ein wenig heller werden, wenn Menschen nicht als missionarische Linkhinschmeißer auftreten, sondern sich beginnen zu erklären. Vielleicht muss ich dann auch eines Tages weniger an Referaten herummäkeln. 😉

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