„Ich weiß manchmal gar nicht, wie ich meinen freien Samstag gestalten soll!“ Diesen bemerkenswerten Satz sagte letztens eine 30-jährige Single-Frau zu mir, als ich sie nach ihrem Leben und Wohlergehen fragte. Um sie herum haben viele Menschen Partner und Kinder mit all den damit verbundenen Verpflichtungen und Vergnügungen. Sie hat, anders als wir Lehrer, einen Beruf, wo man (beneidenswerterweise 😉 ) nach Feierabend und Freitag tatsächlich Feierabend hat und entsprechend freie Wochenenden zu verplanen hat. So gilt es, seine freie Zeit irgendwie sinnvoll zu füllen – Chillen, Hobbies, Besuche, Haushalt, Reisen – the choice is yours.
Auch wenn ich als Verheirateter in einer anderen Lebenssituation bin, konnte ich ihre Aussage gut nachempfinden. Tatsächlich habe ich sogar öfters ganz ähnliche Gedanken. Viele meiner Freunde sind voll beschäftigt mit care- und Kehrwork, mit Hausrenovierungen und vereinnahmenden Berufen. Ich habe meinen ersten Lehrerjob nun fast schon 5 Jahre und habe entsprechend mehr Routine und Gelassenheit. Die Wohnung steht und Kinder sind gerade nicht zu betreuen, wenn man die von Geschwistern und Freunden und die anvertrauten Schüler nicht dazu zählt 😉
Natürlich habe ich auch einige To Dos zu erledigen und Besuche zu absolvieren. Doch auch ich komme immer mal wieder an einen Punkt, wo die letzte Arbeit korrigiert ist, der letzte Schultag vor den Ferien vorbei ist, die letzte To Do abgehakt ist und das Besuchspensum schon recht hoch war. Diese Woche z.B. sind bei uns in NRW die Ferien losgegangen. Luise macht gerade einen Schulaustausch in Paraguay und so habe ich als „Strohwitwer“ recht viele Freiheiten, die zwei Wochen zu füllen.
Klar, ich habe bereits ein gewisses angewöhntes Freizeitrepertoire, aus dem ich schöpfen kann. Freunde, Lesen, Reisen, Joggen, digitale Projekte, Gemeindedienste u.v.m. Aber was davon ist jetzt wirklich angebracht? Wäre vielleicht nicht auch mal was dran, was ich noch gar nicht kenne oder gewagt habe? Bin ich in meinem Freizeitverhalten schon zu eingefahren? Besuche ich Freunde aus Freude oder aus einer selbstauferlegten Pflicht heraus? Braucht es wirklich 3 Urlaube im Jahr? Muss ich wirklich so viele Städte und Länder besucht haben? Was genau „gibt mir das“?
Ich glaube, dass diese Momente, wo wir wirklich weitestgehend eigenverantwortlich über unsere Zeit verfügen können, die sind, wo sich auch unsere Prioritäten und Werte offenbaren. Wofür lebe ich? Was bin ich für ein Mensch? Arbeiten müssen wir alle – aber was, wenn die Arbeit vorbei ist?
Ein Stückweit beneide ich diejenigen Menschen, die so stark eingebunden sind, dass diese Fragen kaum aufkommen. Wenn die eigenen Kinder verständlicherweise viel Raum einnehmen, bleibt nicht schrecklich viel Zeit für stundenlange Hobbies. Auch bei den sozialen Kontakten werden aufgrund des Zeitmangels nahezu automatisch die Menschen wichtig, die einem nahestehen – Familie und enge Freunde. Die Versuchung der Prokrastination scheint mir geringer, wenn Windeln zu wechseln und Ehebeziehungen zu pflegen sind.
Jemand, der gerade alle Hände voll zu tun hat und diesen Text liest – wahrscheinlich eine seltene Kombination 😉 – wird vielleicht über diese Gedanken verwundert sein. „Du beneidest mich? Ich hätte gerne so viel Zeit & „Luft“ wie du.“ Das kann ich verstehen und wahrscheinlich werde ich der aktuellen Zeit irgendwann hinterhertrauern. Dennoch will ich auch mal „diese andere Seite“ beleuchten. Ähnlich wie es bei der Berufswahl oder beim Geld ist, ist es auch bei der Zeit – wer mehr davon hat, hat die „Qual der Wahl“.
Dies gilt besonders für Rentner, die das Hamsterrad der Arbeit gesund verlassen konnten. Ich frage gerne ältere Menschen, wie sie so ihren Ruhestand gestalten. Interessant finde ich, dass diese Frage oft „weggelacht“ wird, mit einem Hinweis darauf, dass es ja immer genug zu tun gäbe. Wenn ich konkret nachbohre, nennen mir dann besonders Männer irgendwelche Heimwerkerprojekte und Gartenverschönerungen, meistens gepaart mit ein paar Reisezielen oder eBike-Touren. So richtig befriedigt tun mich diese Antworten nicht, auch wenn das angedeutete Leben dahinter immerhin recht aktiv zu sein scheint. Oft ist das Freizeitverhalten auch eher passiv: In meinem Haus lebt eine ältere Dame, bei der gefühlt 24/7 der Fernseher läuft, meistens das ZDF. Natürlich ist es nicht an mir, Lebensweisen anderer zu beurteilen, zumal oft gesundheitliche Faktoren den Aktionsradius der Senioren verkleinern. Aber das Beobachten des Lebens anderer Menschen stellt Fragen auch an mein eigenes: Wie will ich mein Leben gestalten, wenn ich so viel Freizeit habe? Ich vermute, dass sich im Alter ein Stückweit offenbart, was man sein Leben lang vorher schon kultiviert hat. Etwas zugespitzt illustriert: Wer jetzt schon in seiner freien Zeit nur Serien suchtet, wird sich im Alter nicht ehrenamtlich verausgaben. John Piper hat einmal in seiner bekanntesten Predigt einen Lebensstil kritisiert, der darauf ausgelegt ist, dass man am Ende des Lebens lediglich Muscheln am Strand in Florida sammelt. Das Beispiel ist vielleicht polemisch, aber die Frage stellt sich dann: was macht man stattdessen? Und kann ich nicht auch mal mit Freude Muscheln sammeln?
Die Konsumgesellschaft hat natürlich allerlei Angebote auf die Frage der Freizeitfüllung:
- „Buch die nächste Reise. Noch weiter weg!“
- „Interessiere dich für Kunst und geh ins Museum.“
- „Binge diese spannende Serie!“
- „Komm zu uns in den Baumarkt und mach dein nächstes Projekt.“
- „Kauf dich glücklich – hier unsere neueste Kollektion!“
- „Wie wäre es mit einer Modelleisenbahn? Wir haben alles für den Hobbykeller!“
Ich habe zwar noch nicht so viel Lebenserfahrung, aber ich beginne schon jetzt zu ahnen, dass die Jagd nach diesen Dingen nicht automatisch zu einem erfüllten Leben führt. Als Christ glaube ich, dass wir unsere freie Zeit nicht einfach irgendwie gedankenlos vollquetschen sollen. Was die sinnvolle Alternative ist, kann ich hier nicht in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Einerseits gibt es ein paar Leitplanken, die bei der Auswahl helfen können: Nächsten- und Gottesliebe (Mk 12,33), Selbstfürsorge (Eph 5,28), Dienst (Phil 2,4) und Talententfaltung (Mt 25) beispielsweise. Andererseits ist die konkrete Ausgestaltung oft individuell und hängt von Umständen, Gaben, Persönlichkeit u.v.m. ab. Und selbst wenn man eine grobe Ahnung seiner „Berufung“ oder „Vision“ hat, bleibt immer noch die eingangs gestellte Frage offen: „Was mache ich denn nun mit einem freien Tag?“
Für heute habe ich diese Frage beantwortet. Ich schreibe gerade diesen letzten Absatz und gleich steht ein „quick lunch“-Treffen mit einem alten Freund in dessen Mittagspause an. Gestern war ich bei einer vielbeschäftigten vierköpfigen Familie im Rheinland. Ich spüre gerade stärker als zuvor, dass die freie Zeit ein kostbares Privileg ist, was vielen aktuell nicht beschieden ist. Freizeit ist eine begrenzte Ressource, die ich rückblickend schon viel mit digitalen und anderen Nichtigkeiten verschleudert und wenig nachhaltig eingesetzt habe. Zeit, die mich weder entspannt noch weitergebracht, sondern nur zerstreut und rastlos zurückgelassen hat. Trotz allem hoffe ich, dass heute und morgen dieses Privileg weniger Schuldgefühle oder Druck, sondern eher Gestaltungsfreude auslöst und du und ich noch viele schöne, sinnstiftende, interessante, segensreiche oder einfach nur erholsame Samstage erleben.