Im letzten halben Jahr hatten Luise und ich eine kleine Aufgabe, die wir mit Freude, Kreativität und einem Schuss Humor versucht haben auszufüllen: Wir durften unserer Familie, unseren Freunden, Nachbarn, Kollegen und Kontakten eine gute Nachricht verkünden – nämlich, dass wir ein Kind erwarten und voraussichtlich Ende August eine kleine Familie sein werden :)). Mal haben wir ein Ultraschallbild in die Familiengalerie gehängt, mal halbwegs galante Übergänge gefunden (beim Nachbarschaftscafé z.B. erwähnten wir, dass im Sommer ein neuer Mitbewohner ins Haus zieht ;-)). In späteren Gesprächen haben Freunde nach Begutachtung des Bauches uns selbst drauf angesprochen.
Es war eine besondere Zeit, denn diese „Offenbarungsbegegnungen“ waren oft voller freudiger Anteilnahme, festen Umarmungen und hastig gestellten Fragen nach Wohlergehen und Elternzeit. Momente der genuinen Freude wie diese sind kostbar. Wir selbst hatten zuvor schon oft von anderen diese frohe Kunde mitgeteilt bekommen, nun durften wir selbst andere in diese große Veränderung „mit hineinnehmen“, wie Moderatoren gerne ihren Gesprächspartner gegenüber zu sagen pflegen.
Ich glaube die Freude und Aufregung über neues Leben ist in der Regel eines der wenigen Dinge, wo sich Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Weltsicht und Lebensphase drauf einigen können. Nicht umsonst bilden Enkelkinder oft den Kitt selbst in angespannten Familiensystemen – irgendwie darf man bei Schwangerschaften, Geburten und Kleinkindern als Angehörige nicht missmutig sein und tatsächlich weicht zartes zerbrechliches Leben so manche harte Kruste auf. Da, wo Krisen die Nachrichten, Probleme die Gespräche und Gestresstheit das Berufsleben dominieren, sind die kleinen seltenen privaten Freuden wie Hochzeit oder Babynews eine willkommene Abwechslung und eine frohe Kunde.
Nicht immer jedoch ist es mir leicht gefallen, frohe Kunde zu verkünden.
Eines der Hemmnisse dabei waren die Probleme der anderen. Bei aller Freude sind Kinder, das Kinderkriegen und generell Familie ein sensibles Thema, welches für viele Menschen mit Frustration und Enttäuschung verbunden ist. Da will man nicht einfach mit übergroßer Begeisterung jemanden überfordern, der in dieser Freude gerade nicht so mitgehen kann.
Aber auch wenn das Thema nicht vorbelastet ist, habe ich mich manchmal zurückgehalten. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Gespräch, wo mir jemand eine Beziehungsgründung verkündete. Ich wusste, wie viel Vorgeschichte dahinter steckte und habe mich entsprechend sehr gefreut, dass es nun geklappt hat. Ich hatte kurz überlegt, ob ich jetzt auch noch unsere Babynews einbringen sollte. Aber unsere Zeit neigte sich dem Ende zu und ich hatte den Eindruck, dass eine große Freude erstmal genug fürs Gespräch ist und eine „zweite Freude“ den Rahmen sprengen würde. Ich glaube, jedes Thema braucht den Raum, den es verdient.
Eine gute Nachricht zu überbringen ist eine der Hauptaufgaben von Christen. Das griechische Wort euangélion, woraus sich Begriffe wie evangelisch oder Evangelium ableiten, bedeutet „frohe Botschaft“. Froh und gut ist diese Nachricht deswegen, weil sie die Liebe Gottes beinhaltet, die sich im menschgewordenen Jesus ausdrückt, der am Kreuz die Menschen rettet und uns mit Gott versöhnt (zB Joh 3,16, 1. Tim 1,15). Christen proklamieren gerne, dass dies die „beste Nachricht der Welt sei“ oder dass Menschen dringend diese „gute Nachricht“ brauchen.
Als Christ glaube ich das auch, aber in der Praxis als dezenter Deutscher und sensibler Sebastian ist diese Botschaft doch deutlich schwieriger zu vermitteln als fröhliche Babynews. Die Implikationen des Evangeliums sind viel abstrakter und weniger greifbar als der runde Bauch meiner Frau. Menschwerdung, Kreuz und Rettung sind bei genauerer Betrachtung aufgeladene und voraussetzungsschwangere Begriffe, deren positive Wirkung für einen modernen Menschen nicht so zugänglich sind wie die Freude über entstehendes Leben. Zudem fordert die christliche Glaubensbotschaft eine Veränderung beim Zuhörer heraus, während Schwangerschaftsverkündigungen zumeist nur freudig vernommen & beglückwünscht werden müssen. Die besten Apologetikbücher und Evangelisationsseminare können an dem unsichtbaren und herausfordernden Charakter des Glaubens nicht grundsätzlich etwas ändern.
Aber vielleicht hilft es ja ein wenig, sich zu vergegenwärtigen, was ich beim Teilen unserer Babyfreude gelernt habe: Jede gute Nachricht – sowohl die fass- als auch die unfassbare – wird für mein Gegenüber zugänglicher, wenn ich sie mit Sensibilität gegenüber seiner eigenen Situationen und Vorgeschichte vermittle. Ebenso braucht es auch Zeit und Raum, dass sich die Nachricht entfalten kann – es sollte kein schnelles „Add-On“ kurz vor knapp sein. Ein wenig Kreativität bei den Übergängen, beim Finden passender Bilder oder beim Gesprächsort kann auch nicht schaden. Meine Schwiegermutter schmiert z.B. in einer „Popup-Church“ vorm Edeka Leuten „Hoffnung aufs Brot“ und hört Menschen erstmal zu und fragt sie, was ihnen Hoffnung gibt. Eine tolle Idee, um Brücken zu bauen und Menschen und der Hoffnungsbotschaft einen guten Raum zu geben.
Doch die Wahrheit ist auch, dass ich mir mehr Verzückung und nicht nur Verständnis wünsche. „Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über“, sagte Jesus einmal (Lk 6,45). Trotz aller gebotenen Sensibilität muss eine gute Nachricht auch manchmal einfach raus. In den ersten Wochen der Schwangerschaft konnten wir gerade bei der engsten Familie und nahen Freunden unsere anstehende Veränderung trotz aller Unsicherheit in Bezug auf die Weiterentwicklung des Kindes kaum zurückhalten, wir verspürten einen unbedingten Teilungsdrang. Alte christliche Schlager wie „Ich kann nicht schweigen“ oder „Go tell it on the mountains“ wurden ganz real.
Ich möchte auch abseits von Babynews gerne mal etwas impulsiver sein und nicht so viel nachdenken über das richtige Timing oder die wohlgewählten Worte. Eine Schattenseite von Empathie ist es, wenn man vor lauter Nachdenken darüber, wie es dem anderen geht und wie etwas ankommen könnte, selber gar nichts mehr sagt und zu oft das unterdrückt, was einem auf der Seele brennt. Als ich im Februar ein Paar besuchte und bei ihnen nächtigte, waren sie verdutzt, dass ich ihnen erst etwa 24h nach meiner Ankunft von unserer Babynachricht erzählte. Es ging vorher in unseren Gesprächen viel um andere Themen und ich spürte keine Freiheit, etwas zu teilen. Aber erst so spät etwas Wichtiges zu erzählen schien ihnen und rückblickend auch mir fast schon etwas unnatürlich.
Es braucht also beides, Enthusiasmus und Empathie. Einige tendieren eher dazu, ihre Begeisterung zu teilen ohne Rücksicht auf Verluste; andere neigen dazu, eher zuzuhören und sich selbst dabei womöglich zu sehr zurückzunehmen. Wenn beides zusammenkommt, können die kleinen und großen Freuden des Lebens und vielleicht auch des Glaubens uns mehr zusammenführen.
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