Das obige Foto habe ich in einem besonderen Moment aufgenommen. Auch wenn der Ausblick durchaus hübsch ist, handelt es sich hierbei nicht um ein Hotel-, sondern um ein Kreißsaalzimmer im Klinikum Minden. Kurz vorher wurde mir von einer Hebamme aufgetragen, mich oberkörperfrei zu machen und das Kind, was gerade aus meiner Frau geholt wird, gleich in Empfang zu nehmen und seine ersten Lebensminuten mit ihm zu bonden.
Eine anstrengende Woche lag hinter uns: Luise musste sich nach einer akuten Blinddarmentzündung als Hochschwangere einer komplizierten Unterbauch-OP unterziehen, deren Folgen sie die nächsten Tage mit Übelkeit und Schmerzen noch stark spürte. Nur vier Tage nach der Blinddarm-OP hatte sie einen Blasensprung und Wehen, worauf von den Ärzten zügig ein Kaiserschnitt angeordnet wurde. Die Lokalanästhesie wirkte nicht, so musste sie zum zweiten Mal innerhalb einer Woche vollnarkotisiert werden. Das ist auch der Grund, warum nicht wie üblicherweise sie als Mutter, sondern ich als Vater unseren Sohn zum ersten Mal in den Händen halten durfte.
Und nun war es soweit, am 10. August 2024. Etwas überrumpelt von der Schnelligkeit der Ereignisse sollte ich nun 18 Tage vor dem errechneten Geburtstermin tatsächlich und schlussendlich Vater werden. Eigentlich hatte ich mir nach die letzten Ferienwochen noch zur Vorbereitung von bürokratischen und schulischen Aufgaben vorgenommen, aber das war erstmal alles vergessen, denn nun stand ein großer Einschnitt bevor.
Auch wenn die Woche turbulent und die Kreißsaalschreie aus den Nebenzimmern oft sehr laut waren, war es in diesem Moment des Fotos auf der Liege ganz ruhig. Ich hatte einige Minuten Gelegenheit, noch einmal innezuhalten, aufs Gebirge draußen zu schauen und mir klarzumachen, dass ich in etwa fünf Minuten ein kleines Wesen in den Händen halten werde, für das ich über viele Jahre intensiv verantwortlich und mit dem ich für immer eng verbunden sein werde.
Was geht einem da durch den Kopf, wenn man in fünf Minuten Vater wird? Gebet für die OP, für Mutter und Kind; Neugierde, wie unser kleiner Spatz (das ist übrigens die Bedeutung unseres Nachnamens) wohl aussehen wird und was dieser Moment auch für mich persönlich bedeutet. Das Vatersein habe ich schon mehrere Jahre angestrebt, wie einige treue Leser auf dem Blog vielleicht hier und da schon zwischen den Zeilen lesen konnten.
Mit 34 Jahren liege ich ziemlich im deutschen Durchschnitt für das erste Kind (aktuell 34,7), in einigen christlichen oder kulturellen Kreisen aber weit darüber. Ich glaube es ist nicht ganz unerheblich, wann man zum ersten Mal Vater oder Mutter wird. Je später der Zeitpunkt ist, desto mehr Leben bringt man in seine Elternrolle mit hinein: Erfahrungen, Reisen, Beziehungen, Berufsausbildung und andere Meilensteine, Krankheiten, Umzüge, Erkenntnisse, Überzeugungen und vieles mehr. Das kann Vor- als auch Nachteile haben. Ich hätte gerne vieles gemeinsam mit meinem Sohn erlebt und würde ihn gerne lange möglichst körperlich und geistig fit begleiten; aber ich bin auch dankbar, was ich in diesen vielen Jahren erleben und lernen durfte und hoffe, dass ich zumindest etwas Reife, Weisheit und Weitsicht in meine Vaterrolle mit hineinnehme.
Während ich auf der Liege also kurz auf mein bisheriges Leben zurückschaue, wird mir auch klar, dass die Geburt kein magischer Schalter ist, der mich zu einem anderen Menschen macht. Meine bisherigen Erfahrungen, Ängste, Hoffnungen und Gewohnheiten bringe ich auch in dieses neue Lebenskapitel mit. Ich werde beispielsweise nicht automatisch in Momenten der Unruhe mein Handy in der Hosentasche lassen, nur weil da jetzt ein Kind ist. Sicherlich werde ich in meiner neuen Rolle viel dazulernen, äußere Faktoren und Bedürfnisse werden mir mehr Disziplin abverlangen und hoffentlich werde ich in all dem auch wachsen und reifen, aber es ist glaube ich trotzdem hilfreich, in Zäsurmomenten anzuerkennen, wo man herkommt und welche Wurzeln man bis hierhin geschlagen hat.
Unser Sohn heißt übrigens Silas, was sowohl „der Erbetene“ als auch „der aus dem Wald kommt“ bedeutet. Beide Bedeutungen sind für mich in diesem Moment wichtig: ein Kind zu erhalten ist für mich ein göttliches Geschenk, über das ich nicht verfügen kann. Aber auch die Waldbedeutung drückt ganz gut aus, was ich oben versucht habe, zu beschreiben: wir alle haben Wurzeln und sind langsam und allmählich zu den Menschen gewachsen, die wir heute sind; auch unter Einfluss unserer Umgebung, denn ein Baum im Ökosystem Wald steht nie für sich alleine. So kommen Fragen auf wie…
- Wünschte ich, einiges wäre anders gelaufen? Sicherlich.
- Hätte ich an einigen Stellen besser entscheiden können? Im Rückblick schon.
- Fühle ich mich durch die Umzüge manchmal entwurzelt? Auf jeden Fall.
- Wäre eine andere soziale Umgebung in manchen Lebensphasen nicht fruchtbarer gewesen? Wahrscheinlich.
- Hätte ich vielleicht nicht doch diese Reise machen oder jene Sache lernen sollen; jetzt wo die Zeit deutlich begrenzter sein wird? Vielleicht.
Aber ich versuche im Gebet Frieden mit meiner Vergangenheit, meinen Wurzeln und meinen „Nachbarbäumen“ zu machen und mich auszustrecken nach dem, was jetzt an Abenteuer Elternsein vor mir liegt.
Warum das nötig ist, hat mir mal ein Zitat von C.G. Jung verdeutlicht, was mir beim Lesen eines Buches durch Mark und Bein gegangen ist:
The greatest burden a child must bear is the unlived life of its parents.
Nichts hat einen stärkeren psychischen Einfluss auf die Kinder als das ungelebte Leben der Eltern.
Ich will unseren Sohn so wenig wie möglich aufbürden und ihn damit belasten, was ich mir noch gewünscht und wo ich noch hätte besser sein können und was er doch einmal besser machen soll als ich. Ich glaube Kinder spüren, ob ihre Eltern mit ihrem bisherigen und jetzigen Leben im Reinen sind, ob sie genuin fröhlich und dankbar sind.
Und dann ging tatsächlich die Tür auf. „Herzlichen Glückwunsch, hier ist Ihr Kind!“ Ein paar Berichte zur OP folgten, dann gingen die Hebamme und Ärztin aus dem Zimmer und ich war für etwa 20 Minuten ganz alleine mit meinem schlafenden Sohn auf dem Arm. Ich bin gespannt, welche Wurzeln er schlägt, wenn er aufwacht.
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So ein schöner Text. Danke fürs Teilhaben, ihr zwei. Alles Liebe & Gottes Segen zur Geburt von Silas. Lieben Gruß, Henriette
Danke Henni! Ich freue mich schon mit dir darüber zu sprechen, wenn wir mal wieder in Münster sind 🙂
Lieber Sebastian,
Ich bin ganz gerührt beim Lesen deiner Zeilen. Alles Gute dir, deiner Frau und Silas auf dem spannenden Weg durchs Leben als Familie!
Ulrike
Dear Bassi aka Daddy Silas, thanks a lot for sharing with us those moments before and after baby Silas was born. It is inspiring to read and i thank God for upholding and strenghtening you in the midst of it all as you also took care of Lulu:)
Danke liebe Ulrike für die lieben Worte und Wünsche! Ich bin auch gespannt auf den Familienweg, der vor uns liegt 🙂
Thanks Fola. Yes thanks God for the strength we couldn’t have brought up ourselves.