Vor kurzem machte ich mit einem alten Freund mal wieder eine Radtour, dieses Mal ging es die Weser hoch bis nach Cuxhaven. Während die Landschaften ganz nett waren, trübte ein Eindruck meine Radelfreude: Es war kaum „Leben“ zu sehen. Wir fuhren durch kleine Ortschaften, vorbei an vielen schönen Einfamilienhäusern mit top gepflegten Gärten und frisch gemähten Rasen. Nur leider war kaum ein Mensch zu sehen. Viele Abschnitte wirkten leblos, uninspirierend und öde. Keine Kinder auf der Straße, keine Grillfeste, kein Pläuschchen am Zaun. Stattdessen leise Rasenroboter, die ihre Runden ziehen. Es mag hier und da am Wetter gelegen haben, aber das allein erklärt nicht die Tristesse. Auch an vielen anderen Orten, wo ich bisher gelebt oder die ich besucht habe, bemerkte ich das Phänomen: Gerade die Vororte, die überwiegend aus Einfamilienhäusern bestehen, sprühen nicht gerade vor lebendiger Stadtkultur. Einige mögen bei obigen Beschreibungen frohlocken, verspricht das Vorstadtleben doch viel Ruhe und Besinnlichkeit. Auch ich genieße die Ruhe, die ich bei meinen Elternbesuchen zu Hause habe.
Und dennoch widerstrebt etwas in mir einem Leben, was auf heimeligen Komfort und weitestgehender Isolation vor Anderen ausgerichtet ist. Wenn der deutsche Traum hauptsächlich daraus besteht, seinen eigenen Palast mit allen möglichen Annehmlichkeiten zu bauen, um möglichst unbehelligt vor anderen zu wohnen, dann will ich diesen Traum nicht. Ich möchte Begegnung, Nachbarschaftshilfe, Straßenfeste, Generationenaustausch, Anteilnahme, praktische Hilfe, Cafés mit Stammkunden, Ausleihen von Geräten, spielende Kinder, Treffen auf dem Spielplatz und vieles mehr. Stattdessen werden zunehmend mehr die Gärten aufgerüstet mit allerlei Spielgerät, teuren Grills und höheren Hecken. Wer es sich leisten kann, bringt die Freuden des öffentlichen Lebens in den sicheren eigenen Garten, damit man sich möglichst viel im trauten Zuhause aufhalten kann.
Ich habe mir die letzten Jahre öfters Gedanken gemacht, wie und wo wir eigentlich leben sollen. In meiner Lebensphase fangen viele Freunde an, zu bauen oder Häuser zu kaufen. Gerade bei Familien mit Kindern und auch als Wertanlage kann ich das voll verstehen. Statt sein Geld für die Miete zu verpulvern, lohnt es sich eher, ein Haus mit ausreichend Platz abzubezahlen, was man später besitzen und weitervererben kann. Doch ich glaube, dass man sich fragen sollte, welchen Lebensstil man anstreben will und ob Platz, Komfort und Geld alles ist.
Ich hatte vor kurzem ein längeres Gespräch mit Luise über dieses Thema und durch ihr geschicktes Nachfragen wurde mir deutlich, dass ich vielleicht eine überaus große Angst davor habe, als „Spießer“ zu enden. Ich will partout nicht ein einfaches bequemes deutsches Leben führen, sondern irgendeine Art von „Berufung“ leben – am Besten im Dienst für andere, mit einem offenen Haus, gelebter Gastfreundschaft u.s.w.. In diesem Wunsch kann auch eine gewisse Hybris liegen, bloß „anders genug“ als die anderen sein zu wollen.
Doch womöglich ist der Lebensstil und die „Berufung“ gar nicht mal so sehr von der Art des Wohnens abhängig, sondern eine Einstellungssache. Denn andersherum habe ich auch schon viel Segen dadurch erfahren, dass ich in einem großen Haus mit drei Geschwistern und vielen Gästebesuchen gelebt habe und auch sonst oft bei großzügigen Familien mit ausreichend Platz untergekommen bin. Man kann wunderbar in einem EFH mit lebhaften Sozialleben leben (vgl. mein Beitrag über das kleine Marbeck) und umgekehrt kann man sich auch in kleinen Wohnungen nur um die Perfektionierung der Inneneinrichtung drehen.
Was die ganze Sache verkompliziert, ist die deutsche Kultur, die tendenziell nicht allzu viel Raum bietet für einen Schnack mit Fremden und Nachbarn. Selbst in Großstadt-Häusern mit vielen Parteien herrscht meistens keine dynamische Nachbarschaft. Das mäßige Wetter in Deutschland und die zunehmende Digitalisierung tun ihr übriges, ein „Draußen-Leben“, wie in einigen südlicheren Ländern üblich, zu verhindern.
Und jetzt? Die Kultur, das Wetter und die großen Trends können wir nicht verändern. Was aber bei schwierigen Fragen der Orts- und Wohnwahl helfen kann, ist eine bewusste Offenheit für göttliche Führung und neue Möglichkeiten. So las ich vor kurzem in einer Biografie von W. Bühne über den Freizeit- und Heimleiter Andi Fett, dessen herzliche und kreative Art ich früher selbst kennenlernen durfte: „In Wuppertal besuchte er mit Gabi eine traditionsreiche Gemeinde in Heckinghausen und brachte sich dort ein. […] [A]uch wenn es fünf magere Jahre im frommen Wuppertal dauerte, bis er und Gabi realisierten, dass sie auf dem besten Weg waren, zu langweiligen Spießern zu werden. Vor seinem 30. Geburtstag bat er mit Gabi Gott um eine klare Führung für die Zukunft und bekam darauf innerhalb einer Woche zwei Angebote [für Freizeit- und Jugendarbeit].“
Nun, solche konkreten Angebote sind mir noch nicht ins Haus geflattert, aber ich hoffe, dass wir es uns nicht zu einfach machen und dem Strom der Komfort- und Lebensupgrades unbedacht folgen. Stattdessen wünsche ich mir, die richtigen Prioritäten im Blick zu bewahren und schon im hier & jetzt nach Aufgaben und Mitmenschen Ausschau zu halten. Es braucht viel Mut und Initiative, um die aus meiner Sicht überhöhte Angst vor Übergriffigkeit zu überwinden und Nachbarn und andere Menschen einzuladen – das haben wir in unserem neuen Wohnhaus, in dem wir seit November leben, gemerkt.
Ob ich schon ein Spießer bin oder zu einem werde, kann ich nicht genau sagen. Aber in einer Umgebung, in der Werte wie Sicherheit, Konsum und Aufstieg eine große Rolle spielen, braucht es viel Kraft und am besten passende Weggefährten dafür, sich nicht dem Spießertum hinzugeben. Also, passt gut auf mich und korrigiert mich gerne – denn allein das ist schon ein Zeichen einer lebendiger community.
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