Als um Weihnachten herum in Nordwestdeutschland die Regenmengen und Wasserpegel stetig stiegen, war auch unsere neue Heimat Minden davon betroffen. Der Weserpegel stieg und stieg und riesige Wassermengen machten sich an Plätzen breit, wo wir einst am Strand lagen, joggten oder auf die Kirmes gingen. Eine Folge dieses Hochwassers war, dass das Trinkwasser verunreinigt wurde. Für fast 2 Wochen – vom 29.12. bis zum 11.1. – mussten wir Wasser abkochen, bevor wir es trinken oder anderweitig nutzen konnten – Gemüse sollte nur mit abgekochten Wasser abgewaschen werden und selbst das Zahnputzwasser sollte nicht direkt aus dem Hahn genommen werden (hier ein Bericht dazu). Wer willentlich oder versehentlich doch das belastete Wasser zu sich nahm, musste mit Margen-Darm-Beschwerden und Extrasitzungen auf der Toilette rechnen, wovon mir auch mehrfach berichtete wurde.
Diese neue Situation sorgte bei uns für große logistische Probleme: Als die Stadt Minden das Abkochgebot verkündete, startete eine Stunde später eine christliche Silvesterfreizeit für Jugendliche von der SMD bei uns in Minden, bei der Luise und ich mitwirkten. Wir mussten schnell handeln und so wurde eine halbe Tonne Wasserkanister bei Metro gekauft. Aber selbst diese gigantische Menge Wasser reichte für die Menschenmenge von 90 Leuten und die vielfältigen Tätigkeiten – Abwaschen, Spülen, Zähneputzen, Trinken – kaum aus. Das machte mir neu bewusst, wie selbstverständlich wir sonst eine gute und sofort verfügbare Wasserversorgung nehmen und wie vielfältig wir Wasser tagtäglich nutzten. In vielen Entwicklungsländern, wie ich selbst z.B. in Nigeria erlebte, muss Wasser in Plastikverpackungen (zum Abbeißen an der Ecke) oder anderen Behältnissen gekauft werden.
Aber auch eine andere Sache wurde mir deutlich: Die Macht der Gewohnheit. Immer wieder stand ich abends schlaftrunken mit meiner Zahnbürste vor dem Becken, drehte den Hahn auf und ließ Wasser auf meine Zahnbürste laufen, bevor es mir wieder dämmerte: „Ah, Mist. Schon wieder vergessen.“ Etwas, was ich jahrzehntelang wie selbstverständlich tat, konnte ich nicht so einfach abschütteln. Auch beim Abwaschen unserer Müsli-Äpfel und der Abendbrot-Paprika vergaß ich einige Male, das Wasserkocher-Wasser und nicht das Kranwasser zu nehmen. Gott sei Dank wurde am Donnerstag das Abkochgebot aufgehoben und unserer SodaStream ist schon wieder im Dauereinsatz. Aber die Erinnerung daran, was für ein Gewohnheitstier ich doch bin, ist geblieben.
Gerade im Januar versuchen viele Menschen, ihre Gewohnheiten zu verändern – früher ins Bett gehen, gesünder essen, weniger Handy – nur um ein paar Klassiker zu nennen. Auch ich habe mir auf der Heimfahrt nach den schönen Familienbesuchen Gedanken über das vergangene und das zukünftige Jahr gemacht und 8 Bereiche ausgemacht, an denen ich arbeiten möchte und sie zur besseren Verinnerlichung alle mit K anfangen lassen: Kreativität (weniger Autopilot & stumpfes Abarbeiten), Kontakte (in Minden ausbauen), Kirche mitgestalten (Aufgaben übernehmen und Beziehungen vertiefen) und Kraft (v.a. früher ins Bett), um mal die Hälfte anzureißen. Nun, so eine Liste ist relativ schnell geschrieben und wenn man solche Reflexionsübungen schon mal gemacht hat, kennt man seine Dauerbaustellen ziemlich gut. Wenn man sich an den ruhigen Tagen nach Weihnachten, ganz ohne Schulstress und Termindruck, sein „neues Leben“ mit all diesen positiven Veränderungen so vorstellt, dann erscheint das „gute Leben“ so greifbar und Veränderung so realisierbar.
Doch wenn die Weihnachtsdeko in die Kellerkiste verschwindet und die schulischen und privaten Aufgaben sich wieder beginnen aufzutürmen, dann scheinen die luftigen Visionen und Ideen, die man noch vor zwei Wochen gesponnen hat, plötzlich so weit weg. Das frühe Insbettgehen wird auf Morgen verschoben, damit die Korrekturen endlich fertig werden, schließlich müssen die Halbjahrsnoten ja bald stehen. Dafür ist man am nächsten Tag müder: Ein Mittags-Nap muss es richten. Dafür aber geht der zweite Vorsatz, die Kontaktpflege, drauf – die WhatsApp-Liste unbearbeiteter Nachrichten wird immer länger. Aber irgendwann am Wochenende, wo man eigentlich kreative Projekte und endlich mal die Unterrichtsreihe langfristig planen wollte, wird diese dann abgearbeitet. Doch eigentlich wollte ich dieses Jahr weniger schreiben und mehr treffen und telefonieren – aber ach, das ist ja auch komplizierter und man will ja auch nicht übergriffig sein. Aber hey, wollte ich nicht eigentlich weniger darauf geben, wie etwas ankommt, sondern mutiger vorangehen?
Dieser kleine Gedankenstrom soll verdeutlichen, warum und wie schnell man beim Umsetzen neuer Gewohnheiten den „Dampf verliert“. Ein Teil davon liegt an Selbstüberschätzung beziehungsweise der Unterschätzung des eigenes Körpers oder beruflicher und privater „Stressoren“. Ein anderer Teil liegt einfach daran, dass alte Gewohnheiten eine unglaublich große Macht auf uns ausüben und sich neue entsprechend schlecht etablieren. Ein Freund von mir will 2024 kein Handy mehr mit aufs Klo nehmen – ein guter Vorsatz, den ich mir auch schon oft gemacht habe. Aber warum greife ich beim Besuch zum stillen Örtchen dennoch so oft zur Hosentausche, um es in meinem Kopf wieder etwas lauter werden zu lassen? Weil ich es schon jahrelang so gemacht habe und die Stille und das Anstarren der weißen Wand entsprechend so gewöhnungsbedürftig für mich ist.
Viele Verhaltenspsychologen und Produktivitätsgurus wissen um all das schon seit vielen Jahren und entsprechend viele Bücher über „Atomic Habits“, „Rituale“ und „die Macht der Gewohnheit“ gibt es auf dem Markt. Infolge gibt es schon zahlreiche Gewohnheitstipps:
- 21 Tage soll es dauern, bis sich eine neue Gewohnheit verfestigt. Also halte mindestens drei Wochen eisern durch.
- Man sollte gute Gewohnheiten mit bereits bestehenden kombinieren, z.B. das Glas Wasser am Morgen direkt vor dem Zähneputzen trinken.
- Schlechte Gewohnheiten ersetzt man durch Ersatzgewohnheiten, die das Grundbedürfnis auf bessere Weise stillen. Ein Kaffeejunkie kann sich z.B. einen Kräutertee machen, um trotzdem noch ein Heißgetränk in der Hand zu halten ohne sich dabei mit Koffein vollzupumpen. Eine E-Zigarette kann für einen Kettenraucher eine langsame Ausstiegsdroge sein.
Solche Tipps haben sich in meinem Leben schon als hilfreich erwiesen. Dennoch glaube ich, dass wir am Ende des Tages mehr brauchen als reine Verhaltensmodifikation. Mein Menschenbild geht davon aus, dass wir viele Dinge nicht nur aus Gewohnheit tun, sondern weil unsere Sehnsüchte und die Vorbilder unserer Umgebung uns dazu antreiben. Was ist das „gute Leben“? Ein stets produktives, entspanntes oder gesundes? Unsere bewussten und unbewussten Antworten auf diese Fragen entscheiden mit darüber, ob wir abends noch eine Nachtschicht einschieben, auf dem Klo zum Handy greifen oder den Zucker auch mal weglassen können. Als Christ glaube ich, dass wir einen Gott haben, der unsere menschlichen Sehnsüchte nicht nur kennt, sondern sie auch verändern kann. Und der gleichzeitig ein Gott ist, der Verständnis hat für unsere Schwachheiten und unsere mageren Versuche, 2024 „alles ganz anders zu machen“. Auch mit guten Life Hacks wie den obigen kostet jede Veränderung immer noch Kraft und diese ist begrenzt.
Wenn ich nach diesem Ritt durch das Gewohnheitsthema an das Mindener Wasserproblem zurück denke, bin ich so dankbar für das klare, gute Wasser und wie ich dieses gewohnheitsmäßig zu mir nehmen und mich daran erfrischen kann. Ich habe nicht die mentale Kraft, bei jedem Lebensbereich den Autopiloten auszuschalten und etwas ganz bewusst zu tun und gezielt zu verändern. Das Wasserglas ist in unseren Breiten schnell gefüllt und, auch wenn es im Vergleich zur Limo etwas langweilig ist, erfüllt es dennoch ein tiefes Bedürfnis und das ganz ohne Zusatzstoffe. Wenn die Grundbedürfnisse und -sehnsüchte gut und einfach gestillt sind, kann man darauf aufbauend glaube ich etwas besser lang- und behutsam andere Baustellen angehen.
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das bis ins ewige Leben quillt. – Johannes 4,13-14
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Thanks Bassi for this article. Building routines into my daily life has been one of the major gift living in Germany has given me and this enables me to add or remove habits but still it requires a lof of discipline to stick to it.
I am glad you’re making progress and wish you lots of success, but also grace towards yourself in 2024 🙂
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