Eigentlich liebe ich Theorien, Modelle und Kategorisierungen. Sie helfen mir die Welt um mich herum besser zu ordnen und es macht mir Spaß, mit ihnen zu arbeiten und zu „spielen“. Erst letztens ersann ich eine neue Theorie, in der ich alle Christen in „Psalmen“- und „Sprüche“-Typen einteilte – aber das ist eine andere Geschichte…
Ein Kategorisierungssystem, welches gerade in christlichen Zirkeln omnipräsent ist, ist Gary Chapmans Behauptung, Liebe ließe sich in fünf „Sprachen“ ausdrücken und jeder Mensch würde eine dieser fünf Sprachen sprechen: Zweisamkeit, Zärtlichkeit, Hilfsbereitschaft, Lob und Geschenke. Kaum ein Eheseminar oder ein Gespräch über Dating kommt ohne eine Referenz auf eine „Liebessprache“ aus.
Chapmans System ist so erfolgreich, dass es in gewohnter amerikanischer Manier ausgeschlachtet wird und auf alle möglichen Lebensbereiche übertragen wird: Kindererziehung, Arbeitsplatz, Bildung und sogar das Militär – natürlich immer mit „Curriculum“, Podcast und allem pipapo. In vielen Buchbeschreibungen wird versprochen, dass die eigene Beziehungen „revolutioniert“ werden würden. Laut SCM Shop gibt uns Chapman den „Schlüssel zu einem liebevollen, erfüllten Eheleben“ – mit Begeisterungsgarantie!
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen diesen großen Erfolgs will ich es heute als kleiner Wicht mal wagen, diese heilige Kuh der christlichen Kultur und populärer Liebestheorie zu schlachten. Wem sie heilig ist und wer von ihr profitiert hat, sollte am besten nicht weiterlesen… Wer Freude an „rants“ hat oder einfach nur mal eine Gegenposition lesen möchte, der ist herzlich willkommen, meine vier Gründe zu lesen, warum ich mit den fünf Sprachen der Lieben wenig anfangen kann:
1.) Es suggeriert eine Gleichwertigkeit der Liebessprachen.
Der eine bekommt und gibt gerne Geschenke, der andere möchte anerkannt werden und wiederum ein anderer verbringt gerne „Quality Time“ mit seinem Partner. Wie wunderbar – in Chapmans System sind alle fünf Liebessprachen gleichwertig.
Aus meiner eigenen Beobachtung des Lebens und der Liebe heraus empfinde ich das aber höchst problematisch. Wie kann man die Zweisamkeit (Reden mit ungeteilter Aufmerksamkeit) mit einem Partner auf die gleiche Stufe stellen wie das Geben von Geschenken? Ehrliche und persönliche Kommunikation sollte in jeder Beziehung essentiell und nicht optional sein, das ist eine Binsenweisheit aus tausenden Beziehungsratgebern und auch Studien. Wie soll denn eine Beziehung funktionieren, in der man sich nichts zu sagen hat? Eine Beziehung, in der eine Partei gerne Geschenke verteilt und die andere Partei dafür „Zärtlichkeit“ schenkt, klingt für mich gefährlich nah nach „Sugar daddies“.
Jetzt mag jemand einwenden, dass ich ja gerne reden würde und Geschenke nicht meine „Sprache der Liebe“ sei. Bei anderen sei das eben anders. Verurteilt mich gerne als empathielos, aber ich habe Schwierigkeiten dabei, mir zu vorzustellen, wie eine Geschenk- oder Dienst-dominierte Beziehung ohne tiefergehenden Austausch florieren kann.
2.) Es hilft nicht bei tiefergehenden Problemen
Ein Grund für Chapmans Erfolg liegt sicherlich darin, dass sein System tatsächlich vielen Leuten dabei geholfen hat, rücksichtsvoller mit ihrem Partner umzugehen und zielgerichteter auf dessen Bedürfnisse einzugehen. Beziehungen, in denen zwei Menschen „aneinandervorbeigeliebt“ haben, konnten gerettet werden. Das möchte ich gerne anerkennen.
Ich bezweifle aber, dass es ein adäquates Werkzeug ist, um ernstere und tieferliegende Beziehungs- und Persönlichkeitsprobleme anzugehen. Was soll eine Frau machen, wenn ihr Mann gar keine „Liebessprache“ zu ihr spricht und sich innerlich zurückzieht? Wie soll Chapman eine Beziehung retten, in der ein Partner narzisstische Züge zeigt und nicht auf den anderen eingeht?
Als Christ bin ich von der traurigen Realität überzeugt, dass „der Mensch“ ein böses Potential in sich trägt – die Sünde. Wir tendieren dazu, eher an uns als an andere zu denken und diese Haltung wird gerade in engen Beziehungen sichtbar. Dazu kommen noch persönliche Unsicherheiten, Traumata, „Komplexe“. All das lässt sich nicht einfach mit dem Finden und Sprechen der richtigen Liebessprache lösen. Wenn Christen schwierige Beziehungsdymaniken vorschnell als bloße Kommunikations- und Liebssprachprobleme verkaufen, verpassen sie die Chance, tiefergehende Probleme zu identifizieren, Buße zu tun, Vergebung auszusprechen und Versöhnung zu erleben. Jesus hat immer das „Herz“ als Sitz unserer tiefsten Antreiber und Motive gesehen. „Sünde“ ist nicht einfach nur ein Verhaltens- oder Verständnisproblem, sondern ein Herzensproblem.
Denn wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz des Herzens das Gute hervor, und der böse Mensch bringt aus seinem bösen Schatz Böses hervor. – Matthäuse 12,34b-35
Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das verunreinigt den Menschen. Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugnisse, Lästerungen. Das ist’s, was den Menschen verunreinigt! – Matthäus 15,18-20
3.) Es kann egoistisch missbraucht werden
Ich war schon immer verwirrt, inwiefern die eigene Liebessprache die ist, die man spricht/gibt oder die man lieber empfängt. Im Idealfall wird beides abgedeckt, aber das scheint längst nicht immer der Fall zu sein. Nur weil jemand gerne Lob bekommt, heißt es nicht, dass er es auch verteilt. Das Beispiel zeigt auch schon, wie das Liebessprachensystem missbraucht werden kann. Statt sich darauf zu richten, wie wir dem Anderen unsere Liebe zeigen können, können wir uns zu sehr darauf konzentrieren, wie der Andere doch bitte unsere Liebessprache zu sprechen hat und wie ich Liebe empfangen möchte. Vielleicht freut sich der Partner über eine liebevolle Umarmung, aber ich verweigere mich, weil das „ja nicht meine Liebessprache“ sei. Andersherum lobt jemand seinen Partner nicht, obwohl dieser es gerade braucht, nur weil „man das ja nicht so gut kann“. Eine andere egoistische Interpretation der Liebssprachen kann darin liegen, dass ich darauf bestehe, etwas zu bekommen – das naheliegendste Beispiel ist wahrscheinlich Sex.
Ein Grundprinzip des Neuen Testamentes und des Lebensglücks liegt in dem wohlbekannten Satz „Geben ist seliger als nehmen“ (Apg 20,35). Allzuoft können die Liebessprachen dazu missbraucht werden, sich zu sehr auf das „Nehmen“ als auf das „Geben“ zu konzentrieren. Das ist nicht Chapmans System, sondern, wie in Punkt 2 ausgeführt, unserem Herzen geschuldet.
4.) Die Dynamik des Lebens spiegelt sich nicht im Liebessprachensystem wieder
Die Grundidee des Liebessprachensystems ist ja, dass jede Person eine „Hauptsprache“ der Liebe hat und man lernen sollte, die Sprache seines Partners / seiner Partnerin zu sprechen, um den „Liebestank“ aufzufüllen. Mein Erleben zeigt mir jedoch, dass diese Lehre ein simplifiziertes Verständnis einer Beziehungsdynamik voraussetzt.
Ich glaube, wir müssen alle Liebessprachen sprechen und zwar immer dann, wenn es gerade dran ist. Auch wenn ich in Punkt 1 postuliert habe, dass nicht alle Liebessprachen gleichwertig sind, bin ich überzeugt, dass eine gesunde Beziehung jede Liebessprache braucht. Hier einige Beispiele: Wenn meine Frau Geburtstag hat, mache ich mir natürlich vorab Gedanken, auch wenn weder sie noch ich Geschenke hoch priorisieren. Wenn wir reden und uns aussprechen sollten, dann sollten wir genau dies tun und uns nicht in Ablenkungen oder Diensten flüchten. Wenn sie etwas tolles gesagt, gekocht oder geschaffen hat, dann erkenne ich das gerne an – und hoffentlich nicht nur dann. Genauso helfe ich ihr bei praktischen Problemen mit dem Computer, dem Haushalt oder ihren Uni-Arbeiten, auch wenn „Hilfsbereitschaft“ nicht meine erste Liebessprache ist oder ich nicht immer Lust darauf habe. Jede Situation erfordert eine andere Liebessprache und ein Beziehung besteht aus einer Vielzahl höcht unterschiedlicher Situationen.
Neulich wandte eine Freundin in einer Diskussionsrunde über die Liebessprachen ein, dass ihr Partner nach einem Konflikt eher die Liebessprache „Zärtlichkeit“ spricht und eine Umarmung mehr bräuchte als eine Aussprache. Ich dachte kurz über diesen Fall nach und entgegnete dann, dass der körperliche Kontakt nach einer intensiven Begegnung eine ganz natürliche und gesunde Reaktion sei und nicht unbedingt ein Ausdruck einer persönlichen Liebessprache. Ich habe gerade das erhellende Buch „Handle with Care“ gelesen, in dem Lore Ferguson Wilbert herausarbeitet, wie sehr wir Menschen körperliche Wesen sind, wie wir Berührung brauchen und wie oft auch Jesus ganz bewusst durch physische Berührungen von Außenstehenden, Kindern und anderen Menschen Verbindung aufgebaut hat. Ich würde jedem empfehlen, seinen Partner nach einem Konflikt fest zu umarmen, ganz unabhängig von irgendwelchen vermuteten Liebessprachen.
Wenn ich mein Beziehungs- und Eheleben mit Luise reflektiere, merke ich, dass ich nicht im Liebessprachen-Paradigma denke und es unser Zusammensein arg beschränken würde, wenn ich es auf eine oder zwei Liebessprachen reduzieren müsste. Alles hat seinen Platz und man muss ein Gespür dafür finden und sich leiten lassen, wann ich wie möglichst selbstlos dienen kann. Kein System der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.
Abschließender Hinweis: Wie schon oben angeführt, freue ich mich über jeden, der von dem Buch und System profitiert hat. Ich glaube gerade am Anfang einer Beziehung können die „5 Sprachen der Liebe“ ein wertvolles Reflexions- und Austauschinstrument sein. Mir ist bewusst, dass jede Kategorisierung simplifzierend ist und seine Grenzen hat. Dennoch wollte ich in diesem Artikel eine kritische Gegensicht zu dem Hype veröffentlichen. Gegenkritik in Form von Kommentaren oder auch im Gespräch ist natürlich herzlich willkommen 🙂
Entdecke mehr von Frühlingsleben
Subscribe to get the latest posts sent to your email.